Wenn ich mit jemandem spreche, der Schlafprobleme hat, dreht sich das Gespräch fast immer sofort um das Thema, wie man die Schlaflosigkeit beheben kann. Nun, das ist offensichtlich. Wer will schon die ganze Nacht wach im Bett liegen? Aber hast Du schon einmal darüber nachgedacht, ob dieser „Problemlösungsansatz“ wirklich funktioniert? Oder ob er vielleicht nicht sogar dazu beiträgt, dass das Problem noch größer wird?
In diesem Artikel möchte ich Dich dazu einladen, unsere Fixierung auf Problemlösung zu überdenken und einen völlig anderen Ansatz zu wählen, der das Erlernen einiger neuer Fähigkeiten beinhaltet, die dazu beitragen, Deine mentale Flexibilität zu stärken.
Schlaflosigkeit soll hier bei nur als Beispiel gelten, denn diese Fähigkeiten helfen bei all unseren mentalen Herausforderungen.
Was hast Du versucht, um Deine Schlaflosigkeit zu beheben?
Wenn Du Einschlaf- oder Durchschlafprobleme hast und nachts öfters wach im Bett liegst, dann kennst Du bestimmt den verzweifelten Versuch, die störenden Gedanken und Emotionen – das s.g. nächtliche Kopfkino – los zu werden: ”Wenn ich doch nur meinen Verstand abschalten könnte!“
Und vielleicht hast Du auch verschiedene Dinge ausprobiert, um besser schlafen zu können, wie zum Beispiel eine neue Matratze gekauft und Verdunkelungsvorhänge angebracht, Deine Ernährung verändert, ein besonderes Einschlafritual oder eine neue Entspannungsroutine eingeführt, oder möglicherweise sogar zu Schlaftabletten gegriffen. Aber hat irgendeine dieser Maßnahmen wirklich funktioniert, so dass Du nun besser schläfst? Und zwar nicht nur für eine oder zwei Nächte, sondern langfristig?
Falls ja, wenn also diese Strategien funktioniert haben und Du dauerhaft besser schlafen kannst – dann ist das großartig! Wenn Du Dich jedoch immer noch nachts hellwach im Bett wälzt und vergeblich versuchst, die störenden Gedanken und Gefühle los zu werden, dann ist es an der Zeit, Deine Strategie zu überdenken.
Gegen unliebsame Gedanken und Gefühle anzukämpfen ist zeit- und energieraubend
Da ich selber mehrere Jahre unter Schlaflosigkeit gelitten habe, weiß ich, wie verhext die Situation ist. Ich kann den Wunsch sehr gut nachempfinden, dem Unbehagen entkommen zu wollen, den Schlaflosigkeit mit sich bringt. Ich kenne diesen Kampf und weiß, wie schmerzhaft und energieraubend er ist.
Und wenn ich jetzt neben Dir sitzen würde und Du mir von Deinem nächtlichen Kampf mit Deinen Gedanken, Gefühlen und Empfindungen erzählen würdest, wäre es mein grösster Wunsch für Dich, Deinen Schmerz zu lindern. Oder um es so auszudrücken: Es wäre für uns beide schön, wenn ich Dir sagen könnte, dass ich eine Möglichkeit habe, Deine Schmerzen verschwinden zu lassen.
Aber würde das funktionieren? Die Antwort ist Nein. Das wäre nur eine weitere untaugliche Strategie, ein weiterer Punkt auf der langen Liste dessen, was Du schon alles versucht hast, um Deine Schlaflosigkeit zu beenden.
Aus Deinen eigenen Erfahrungen schöpfen
Hier geht es nicht darum, Dich zu überzeugen; ich möchte, dass Du in Dich gehst und aus Deinen eigenen Erfahrungen schöpfst. Wichtig dabei ist, dass Du wirklich ehrlich zu Dir bist. Und wenn Du dabei das Gefühl hast, dass Deine derzeitige Herangehensweise nicht funktioniert, dann möchte ich Dir folgende Fragen ans Herz legen:
Was ist, wenn es nicht in erster Linie Deine rasenden Gedanken und aufwühlenden Gefühle sind, die Dich wach halten, sondern eher der Versuch, diese auszuschalten; also der Versuch, nicht zu denken oder fühlen, was Du denkst oder fühlst? Mit anderen Worten, was ist, wenn die unterschiedlichen Strategien, Deine innere Welt zu kontrollieren nicht die Lösung, sondern das grundlegende Problem ist?
In diesem Fall wäre nicht die Existenz herausfordernder Gedanken und Gefühle der Übeltäter Deines Leidens, sondern wie Du Dich zu ihnen verhältst. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass der Versuch, unerwünschte Gedanken, Gefühle, Erinnerungen oder Empfindungen verschwinden zu lassen, nicht funktioniert – nicht für Dich, nicht für mich, für niemanden.
Warum der Versuch, unangenehme Gedanken und Gefühle loszuwerden, nicht funktioniert
Wir alle haben gelernt, unerwünschte Erfahrungen als unerträglich und nicht normal zu betrachten, und stattdessen das Ziel zu verfolgen, uns wohlfühlen. Die gesamte Wellness-Industrie beruht auf diesem Prinzip. Und seit Kindesbeinen hören wir Sätze wie “Kontrolliere Deine Gefühle und Gedanken besser.” oder “Höre auf, so negativ zu sein. Denke positiver!”
Deshalb sind wir besessen von der Idee, dass wir uns innerlich nicht unwohl fühlen sollen; dass etwas nicht stimmt, wenn wir schmerzhafte Gedanken, Gefühle oder körperliche Empfindungen erleben, die wir nicht überwinden können. Und so versuchen wir alles, was wir können, um schwierige innere Erfahrungen loszuwerden.
Aber das ist eine gefährliche Falle, denn die einfache Wahrheit ist diese:
Psychisches Leiden ist unweigerlich mit dem menschlichen Leben verwoben. Es ist Teil des Menschseins, Schmerzen und inneres Unbehagen zu erleben. Es gibt keinen Zauberstab, der Dich mühelos von all Deinen Problemen befreien kann. Die Wohlfühl-Agenda funktioniert also nicht und kann sogar gegen Dich arbeiten, weil sie Dich in einem Kampf gefangen hält, den Du einfach nicht gewinnen kannst.
Das sind keine schlechte Nachrichten
Ich weiß, das ist vielleicht nicht das, was Du in einem Moment, in dem es Dir nicht so gut geht, hören möchtest. Es mag im ersten Augenblick eine verstörende Nachricht sein, aber es ist keine schlechte Nachricht. Denn auch wenn es keine schnelle Lösung für Dinge wie Schlaflosigkeit und deren unangenehmen Begleiterscheinungen gibt, heißt das nicht, dass Du Dich einfach mit ihnen abfinden musst und alles als sinnlos betrachtest.
Worauf es ankommt ist vielmehr dies: den den zeit- und energieaufwendigen inneren Kampf gegen schwierige Gedanken, Gefühle und Empfindungen aufzugeben und bereit zu sein, ihnen Raum zu geben, so dass sie sich frei bewegen können. Anstatt also schwierige Gedanken und Emotionen immer wieder von Dir wegzuschieben und Dir damit das Leben schwer zu machen, ist die Wahl, willentlich zu erleben, was immer Dein Geist und Körper Dir gibt, wie ein Befreiungsschlag.
Warum ist es befreiend, seinen Gedanken und Gefühlen Raum zu geben?
Der Grund hierfür ist, dass Du am Ende nur den ursprünglichen Schmerz des herausfordernden Gefühls oder Gedankens spürst, und nicht eine ganze Menge zusätzlicher Schmerzen wie Frustration, Ärger, Schuld, Scham usw., die Dich Deiner wertvollen Energie und Vitalität berauben. Wenn Du akzeptierst, was in Dir vorgeht, hörst Du auf, zusätzlichen Schmerz zu erzeugen.
Deshalb denke immer daran, dass Deine Gedanken und Gefühle selbst nicht schädlich sind; es ist Dein fortwährender Versuch, Deine inneren Erfahrung zu bekämpfen, der das größte Risiko darstellt.