Diese Zeit der Ungewissheit und des Aufruhrs hat bei vielen von uns das Gefühl hinterlassen, dass wir uns in unserer äußeren Umgebung nicht sicher fühlen. Auch fühlen sich viele von dem raschen Tempo des Wandels überwältigt und bedroht. Diese externen Umstände mögen wiederum dazu führen, dass Du Dich auch innerlich erschüttert oder verunsichert fühlst.
Und was noch verwirrender ist, dass Dinge wie das Internet und das Smartphone, die uns das Leben eigentlich erleichtern sollen, dazu beitragen, diesen Prozess zu beschleunigen.
Das Leben wird eher komplizierter als einfacher
Verstehe mich nicht falsch, technologische Innovationen sind großartig, aber sie stellen uns auch vor immer größere mentale und soziale Herausforderungen. Durch die neuen Technologien sind wir ständig Schrecken, Drama und Urteil ausgesetzt. Ganz gleich, wie ruhig wir uns fühlen, sobald wir die neuesten Schlagzeilen auf unserem Computer oder Smartphone lesen und die zerstörerischen Bilder voller Gewalt sehen, werden wir in einen Strudel aus Unsicherheit, Aufregung und Angst hineingezogen.
Wenn das Leben durch unseren Fortschritt eher komplizierter als einfacher wird, und wenn sich die Welt in rasantem Tempo verändert, muss sich auch unsere innere Welt verändern. Wir müssen unser Verhalten anpassen und bestimmte Fähigkeiten entwickeln, die es uns ermöglichen, auf all diese Veränderungen mit größerer Leichtigkeit und Souveränität zu reagieren. Das klingt logisch, wirft aber die Frage auf, wie wir dies erreichen können? Was genau müssen wir tun, um die neuen Herausforderungen zu meistern?
Die Antwort ist, dass wir lernen müssen, unsere geistige Starrheit aufzugeben und unsere psychische Flexibilität zu erhöhen.
Die Lösungen, die unser Verstand uns bietet, sind oft wenig hilfreich
Interessant ist, dass wir alle bereits über die Ressourcen verfügen, die es uns ermöglichen, unser Leben auf natürliche Weise so führen, dass wir die Herausforderungen des Lebens meistern können: Wir alle verfügen über eine tiefe innere Weisheit, die auf unseren Lebenserfahrungen beruht. Wenn uns diese Ressource also immer zur Verfügung steht, warum nutzen wir sie dann nicht?
Die einfache Antwort ist, dass unser Verstand uns in die Quere kommt, weil er uns ständig Lösungen für all unsere Erfahrungen vorgaukelt, negative und schmerzhafte Erfahrungen eingeschlossen. Das erscheint im ersten Augenblick auch logisch; wer möchte schon in Schmerz, Angst und Unsicherheit leben?
Das Problem allerdings ist, dass die Lösungen, die uns unser Verstand gibt, oft wenig hilfreich sind, weil sie uns in Muster geistiger Rigidität oder Starrheit versetzen.
Was ist Rigidität?
Rigidität ist die Selbsttäuschung von Sicherheit, die kurzfristig ein gutes, beruhigendes Gefühl schafft, welches jedoch illusorisch ist und langfristig die Probleme nicht löst, sondern eher noch verstärkt.
Wenn wir in Starrheit verharren, ist unser Verhalten von dem Versuch geprägt, vor den geistigen Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen, davonzulaufen. Wie in einer Stresssituation versuchen wir, ständig zu fliehen. Wir tauchen ab ins Grübeln, in Sorgen, in Ablenkung, in Selbststimulierung, in Überarbeitung – und das alles in dem Versuch, den Schmerz, den wir empfinden, zu vermeiden.
Rigidität ist im Wesentlichen der Versuch, negative Gedanken und Gefühle zu vermeiden, die durch schwierige Erfahrungen verursacht werden, entweder solche, die wir gerade erleben, oder auch die in unserer Erinnerung.
Warum Ablenkung als dauerhafte Vermeidungsstrategie gefährlich werden kann
Hier ist ein Beispiel: Du bestehst eine Prüfung nicht, und als Folge davon denkst Du: „Ich bin ein solcher Versager!” Ehe Du Dich versiehst, wird dieser Gedanke in eine Ecke Deines Gedächtnisses gedrängt, wo er verweilt. Um Dich abzulenken und zu beruhigen, triffst Du Dich mit Freunden auf ein Bier. Das ist soweit völlig in Ordnung.
Wenn Du ein solches Verhalten allerdings wiederholst und es zu einer dauerhaften Vermeidungsstrategie wird, so dass Du Dich wohlmöglich gar nicht mehr auf die nächste Prüfung vorbereitest, werden Deine Probleme nur verstärkt.
Nicht nur, dass Dein Ziel, Dich beruflich oder persönlich weiterzuentwickeln in weite Ferne rückt. Es kann auch sein, dass Du durch eine ungesunde Form der Selbstberuhigung – in diesem Fall der regelmässige Konsum von Alkohol – Deine Gesundheit aufs Spiel setzt.
Positive Affirmationen können auch eine Form von Rigidität sein
Angenommen, Du versuchst stattdessen, Dir zu versichern, dass Du klug und fähig bist. Oberflächlich betrachtet macht dies enorm viel Sinn. Es ist hilfreich, sich positive Gedanken zu machen, nicht wahr?
Allerdings haben wir auch hier das Problem, dass wenn Du Dir positive Gedanken machst mit dem Ziel, negative Gedanken und Erfahrung zu vermeiden oder ihnen zu widersprechen, ist das eine Form der psychischen Starrheit. Die Folge ist, dass die positiven Gedanken Dich genau an die Gedanken erinnern, die Du zu vermeiden gehofft hast!
Positive Affirmationen wie „Ich bin ein guter Mensch!“ funktionieren großartig, solange wir sie nicht wirklich brauchen. Wenn wir sie jedoch als Vermeidungsstrategie einsetzten, zum Beispiel wenn wir uns schlecht zu fühlen, dann verstärken solche Affirmationen unsere negativen Gefühle nur.
Rigidität führt zu zusätzlichen Schmerzen
Jeder von uns hat Verhaltensweisen, von denen wir tief im Inneren wissen, dass sie nicht unseren besten Interessen dienen. Die Beispiele sind endlos: die Diät, die nicht von Dauer ist; die Tüte Chips nach einem langen Arbeitstag; das Glas zu viel Wein bei der letzten Party; die bevorstehende Deadline, die man immer wieder verschiebt; oder der Moment, in dem man ohne wirklichen Grund in einen Streit mit seinem Lebenspartner gerät.
Jedes dieser Dinge allein ist harmlos. Aber dieselben psychologischen Mechanismen, die diese Verhaltensweisen antreiben, können uns an sehr dunkle Orte führen, wenn sie unkontrolliert bleiben. Für zu viele von uns wird die gelegentliche Tüte Chips oder das Glas Wein zur Gewohnheit. Das Aufschieben eines Termins endet in geplatzten Lebensträumen und der Streit mit dem Menschen, den man liebt, führt zu nachlassender Intimität, nach der man sich so verzweifelt sehnt.
Rigidität kann zu ernsten psychischen Gesundheitsproblemen führen
Der Punkt ist, dass, wenn der Zweck einer Bewältigungsstrategie darin besteht, ein negatives Gefühl oder das Denken eines beunruhigenden Gedankens zu vermeiden, eine schmerzhafte Erinnerung zu eliminieren oder einer schwierigen Erfahrung aus dem Weg zu gehen, das Problem langfristig fast immer größer anstatt kleiner wird und zusätzliche Schmerzen verursacht.
Rigidität führt zu Angst, Depression, Drogenmissbrauch, Trauma, Essstörungen und ist eng mit jedem andere psychische Problem verbunden. Sie untergräbt die Fähigkeit eines Menschen, neue Dinge zu lernen, Spaß an der Arbeit zu haben, mit anderen intim zu sein oder sich den Herausforderungen einer Krankheit zu stellen.
Wie man von Rigidität zu psychischer Flexibilität gelangt
Der Schlüssel zur Bewältigung der Herausforderungen des Lebens liegt also nicht darin, sich vom Schmerz abzuwenden, sondern genau das Gegenteil zu tun: sich seinem Leiden zuzuwenden. „Sich dem eigenen Leiden zuwenden?“ höre ich Dich fragen. Ja, genau. Um ein Leben voller Sinn und Zweck zu führen, müssen wir aufhören, unseren Schmerz zu unterdrücken oder zu betäuben.
Stattdessen müssen wir lernen zu akzeptieren, dass wir unangenehme Gefühle und Gedanken haben. Und warum? Weil unser Nervensystem keinen Löschknopf enthält und die Denk- und Gedächtnisvorgänge zu komplex sind und bei keinem Menschen immer sauber, ordentlich und reibungslos ablaufen. Schmerz gehört zum Leben dazu und jeder Mensch, egal mit welchem kulturellen oder ökonomischen Hintergrund, erfährt Schmerz im Leben.
Was ist der Vorteil von Akzeptanz?
Aber worin genau besteht der Vorteil, wenn wir endlich anfangen, unseren Schmerz zu akzeptieren? Das Akzeptieren schmerzhafter Erfahrungen versetzt uns in die Lage, den Einfluss, den diese Erfahrungen auf unser Leben haben, zu reduzieren, und unser Leben auf eine Weise zu verändern, die mit dem, was wir am meisten schätzen, in Einklang steht.
Dieser Ansatz ist nicht einfach; sich unseren schmerzlichen Emotionen und Gedanken zu stellen, erfordert Bereitschaft und Energie, denn man begibt sich in Bereiche seines Lebens, in denen man sich am verletzlichsten fühlt.
Die gute Nachricht ist, dass es eine Reihe von Fähigkeiten gibt, die Du erlernen kannst, die alle deine psychische Flexibilität fördern. Psychische Flexibilität ermöglicht es Dir, Deine schwierigen Gedanken und Gefühle zu akzeptieren und Dein Leben so zu leben, wie Du es wünscht, auch mit den Widrigkeiten, Schmerzen und Herausforderungen, die das Leben unweigerlich mit sich bringt.
Was genau ist psychische Flexibilität?
Psychische Flexibilität ist die Fähigkeit, mit Offenheit zu fühlen und zu handeln, sich freiwillig auf die Erfahrungen des gegenwärtigen Augenblicks einzulassen und das Leben in die Richtung zu lenken, die man als wichtig erachtet. Hierfür ist es erforderlich, dass man geeignete Gewohnheiten entwickelt, die es einem ermöglichen, des Leben in Übereinstimmung mit seinen individuellen Werten und Bestrebungen zu leben.
Psychische Flexibilität erlaubt es uns, die Orte in uns selbst und in unserem Leben, an denen wir verwundbar und verletzbar sind, vorurteilsfrei und mitfühlend zu betrachten. Denn die Dinge, die uns am meisten schmerzen, sind oft die Dinge, die uns am meisten am Herzen liegen. Unsere tiefsten Sehnsüchte und stärksten Motivationen liegen genau da verborgen, wo wir die ungesündesten Verteidigungs- under Vermeidungsstrategien entwickelt haben.
Warum ist psychische Flexibilität so hilfreich?
Um zu verstehen, warum psychische Flexibilität so ungemein wichtig und hilfreich ist, müssen wir uns vor Augen führen, dass jede Starrheit, in denen unser Geist uns mit ungesunden Denk- und Verhaltensmustern gefangen hält, tief verborgen eine gesunde Sehnsucht enthält. Mit anderen Worten, wir tun die falschen Dinge, aber aus den richtigen Gründen, denn wir alle haben letztendlich das Ziel, ein sinnerfülltes Leben führen.
Psychische Flexibilität erlaubt es uns, diese verborgene Sehnsucht auf eine offenere und flexiblere Ebene zu lenken, die es uns ermöglicht, die Sehnsucht auch tatsächlich zu befriedigen.
Beginne, Deine Gedanken und Gefühle zu akzeptieren
Eine zentrale Komponente der psychologischen Flexibilität habe ich bereits oben erwähnt: Akzeptanz. Es geht darum, zu akzeptieren, dass wir unangenehme Gefühle und Gedanken haben. Wichtig ist allerdings zu verstehen, dass psychologische Flexibilität keinesfalls einen passiven Ansatz verfolgt. Es geht nicht darum, einfach nur zu akzeptieren, was das Leben dir gibt und was vorhanden ist, sondern was zählt ist, was Du tust.
Dazu gehört aktives Handeln wie aufzuhören, schwierigen Erfahrungen zu vermeiden und nicht davor wegzulaufen, oder nicht einfach dem Impuls nachzugeben, Gedanken, Gefühle und Empfindungen kontrollieren zu wollen. Dies fällt den meisten von uns schwer und benötigt Energie, denn unser Verstand wird protestieren und uns daran erinnern, dass Schmerzen zu vermeiden und zu unterdrücken doch ein viel einfacherer Weg ist, um uns schnell wieder gut zu fühlen.
Unser Verstand denkt nicht langfristig, sondern bietet uns einen Lösungsvorschlag, der zwar kurzfristig Erleichterung bringt, auf lange Sicht allerdings vor allem für unsere Psyche höchst ungesund ist. Denn das Vermeiden des Schmerzes führt langfristig dazu, dass wir die Fähigkeit ein, überhaupt zu fühlen, verlernen. Innere Leere oder gar komplette Gefühllosigkeit können die Folge sein.
Akzeptanz hingegen ist die Entscheidung, seine persönlichen Erfahrungen – positive wie negative – mit Offenheit und Neugier zu erleben und sich dadurch ermächtigt fühlen, sein Leben so zu führen, wie man es möchte.
Beginne, Deine Gedanken wahrzunehmen, anstatt Dich in ihnen zu verfangen
Ein weiterer wichtiger Schritt besteht darin, seine schwierigen Gedanken und Emotionen ein wenig leichter zu nehmen, ohne ihnen mehr Aufmerksamkeit zu schenken, als sie verdienen. Dazu ist es wichtig, Dir bewusst zu machen, dass Deine Gedanken und Gefühle eher kurzlebig und unzuverlässige Indikatoren für Deine langfristigen Werte und Ziele sind. Du hast wenig Kontrolle über sie (ja, wir haben tatsächlich viel weniger Kontrolle über unsere Gedanken und Gefühle als wir denken!), und sie neigen dazu, zu schwanken – manchmal dramatisch.
Wenn Du Dich hauptsächlich auf Deine Gedanken und Gefühle verlässt und auf deren Grundlage handelst, wirst Du die wichtigeren, dauerhafteren Handlungsmuster übersehen, die Deinem Leben wahren Sinn, Vitalität und Reichtum verleihen.
Psychische Flexibilität hilft Dir, auf Basis Deiner Werte zu handeln
Sobald Du beginnst, Deine Gedanken und Gefühle leichter mit Dir zu tragen, kannst Du auf Basis längerfristigen Werten und Zielen handeln anstatt Dich von kurzfristigen Impulsen, Gedanken und Gefühlen treiben zu lassen. Du beginnst, Deine Gedanken nur als das zu sehen, was sie tatsächlich sind – fortwährende Versuche der Bedeutungsgebung. Und dann kannst Du entscheiden, in welchem Maße Du ihnen Macht verleihst, z.B. nur wenn sie Dir wirklich dienlich sind.
Mit dieser Fähigkeit, sich von Deinen eigenen Gedanken distanzieren zu können, ist es auch in Deiner Hand, Dich von ihren negativen Auswirkungen zu befreien. So erlangst Du wieder mehr Kontrolle über Dein Leben.