Wir verlassen uns stark auf unsere Gedanken. Und das ist verständlich, denn sie sagen uns etwas über unser Leben und wie wir es leben sollten. Sie weisen uns darauf hin, wie wir sind und wie wir sein sollten, was wir möchten und was wir vermeiden sollten.
Und doch müssen wir uns immer wieder bewusst machen, dass Gedanken im Grunde nichts als Worte sind. Denn wir benutzen Worte nicht nur, wenn wir sprechen, zuhören oder schreiben, sondern auch in unserem Inneren, wenn wir denken. Worte wie diese in diesem Artikel nennen wir „Text“; gesprochene Worte nennen wir „Sprache“; und Worte in unserem Kopf nennen wir „Gedanken“.
Gedanken sind Werkzeuge zur Bedeutungsgebung
Worte sind unser wichtigstes Kommunikationsmittel, weil sie ein komplexes Symbolsystem bilden, d.h. sie stehen für etwas oder verweisen auf etwas Anderes. Sie sind Werkzeuge zur Bedeutungsgebung: Wenn man weiß, worauf sich ein Wort bezieht, dann kennt man seine Bedeutung und versteht es.
Und dasselbe gilt für die Gedanken in unserem Kopf. Gedanken sind Werkzeuge, mit denen wir allem, was wir wahrnehmen, fühlen, beobachten, uns vorstellen oder mit dem wir interagieren einen Sinn geben können: Zeit, Raum, Leben, Tod, Orte, aktuelle Ereignisse und so weiter.
Die enge Beziehung zwischen Gedanken und Worten wird deutlich, wenn man zum Beispiel einen Krimi liest. Sobald Du die Worte in dem Buch liest, kannst Du die Figuren „hören“ und die einzelnen Szenen „sehen.“ Das kann so weit gehen, dass das Gelesene starke Emotionen in Dir weckt. Wenn z.B. die Worte beschreiben, wie eine Romanfigur in eine gefährliche Situation gerät, reagierst Du möglicherweise so, als ob jemand wirklich in Gefahr ist: Deine Muskeln spannen sich an, Dein Herzschlag wird schneller und Dein Adrenalinspiegel steigt.
Und doch sind das alles, was Du vor Dir hast, nur Worte – kleine schwarze Flecken auf einer Seite!
Wir glauben, unsere Gedanken seien die absolute Wahrheit
Obwohl Gedanken nur Worte in unserem Kopf sind, reagieren wir oft auf unsere Gedanken, als ob sie die absolute Wahrheit wären oder als ob wir ihnen unsere ganze Aufmerksamkeit widmen müssten.
So wie wir auf Worte in einem Kriminalroman reagieren, als ob jemand wirklich ermordet wird, reagieren wir auf Worte wie „Ich bin nicht gut genug“, als ob wir tatsächlich nicht gut genug sind, und wir reagieren auf Worte wie „Niemand mag mich“, als ob uns wirklich niemand mag.
Wenn wir es zulassen, können Gedanken so einflussreich werden, als wären sie
- Realität – was wir denken, geschieht tatsächlich hier und jetzt.
- Wahr – wir schenken unseren Gedanken uneingeschränkt Glauben
- Wichtig – wir nehmen unsere Gedanken ernst und schenken ihnen unsere volle Aufmerksamkeit.
- Befehle – wir gehorchen unseren Gedanken automatisch.
- Klug – wir gehen davon aus, dass unsere Gedanken es am besten wissen, und folgen ihrem Rat.
- Bedrohungen – manche Gedanken können zutiefst beunruhigend oder erschreckend sein, und wir haben das Bedürfnis, sie so schnell wie möglich loszuwerden.
Die bessere Frage: Sind Deine Gedanken hilfreich?
In Wahrheit sind die meisten unserer Gedanken allerdings weder wahr noch falsch. Die meisten von ihnen sind entweder Vorstellungen darüber, wie wir das Leben sehen (unsere Meinungen, Haltungen, Urteile, Überzeugungen usw.) oder was wir damit tun wollen (unsere Pläne, Wünsche, Strategien, Ziele, Werte usw.).
Anstatt Dich also darauf zu konzentrieren, ob Deine Gedanken wahr oder falsch sind, ist es besser, Dich darauf zu konzentrieren, ob Deine Gedanken nützlich sind. Konkret heißt das, wenn Du diesem Gedanken, der Dir gerade durch den Kopf geht, Aufmerksamkeit schenkst, wird er dazu beitragen, das Leben zu leben, das Du Dir wünscht? Oder trägt dieser Gedanke eher dazu bei, dass Du Dir selbst im Weg stehst und gegen Deine eigenen Interessen handelst?
Stelle Dir zum Beispiel vor, Du machst bei der Arbeit einen Fehler, und der Gedanke „Ich bin so ein Idiot“ kommt Dir in den Sinn. Ist dieser Gedanke hilfreich oder demoralisierend? Hilft er Dir, die Situation zu verbessern, oder führt er dazu, dass Du Dich selbst niedermachst und vielleicht sogar in Frustration resignierst?
Wenn dieser Gedanke Dich dazu motiviert, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, dann ist er in der Tat nützlich. Aber allzu oft sind diese Art negativer Gedanken nicht nützlich; sie führen nur dazu, dass wir uns schuldig, frustriert oder ängstlich fühlen und tatenlos bleiben.
Wie Du Dich von Deinen Gedanken lösen kannst
Wenn die Frage „Ist dieser Gedanke hilfreich oder nicht?“ ein so nützlicherer Ansatz ist, warum stellen wir uns dann diese Frage so selten? Der Grund hierfür ist, dass wir meist zu sehr in unseren Gedanken verstrickt sind, so dass sie uns kontrollieren und uns die nötige Objektivität fehlt.
Um die Kontrolle zu durchbrechen und objektiver zu werden, ist es notwendig zu erkennen, dass unsere Gedanken nichts weiteres als Worte in unserem Kopf sind. Das heisst, wir müssen uns von unseren Gedanken lösen und einen kleinen Puffer zwischen uns und unseren Gedanken schaffen, der es uns erlaubt, unsere Gedanken wahrzunehmen und dann zu entscheiden, ob sie nützlich sind oder nicht.
Und hier ist eine sehr einfache Technik, die Dir dabei helfen kann:
„Ich habe den Gedanken, dass…“ oder „Ich merke, dass ich den Gedanken habe, dass…“
Denke an einen beunruhigenden, negativen Gedanken in Form von „Ich bin X.“ Zum Beispiel: „Ich bin nicht gut genug“ oder „Ich bin ein Looser.“ Wähle einen Gedanken, der oft wiederkehrt und der Dich wirklich stört und ärgert. Konzentriere Dich nun für etwa zehn Sekunden auf diesen Gedanken.
Wenn die zehn Sekunden um sind, füge vor dem Gedanken einen dieser Sätze ein: „Ich habe den Gedanken, dass…“ oder „Ich merke, dass ich den Gedanken habe, dass…“ Rufe Dir den Gedanken noch einmal ins Gedächtnis, diese Mal allerdings mit dem vorangestellten Satz, also: „Ich habe den Gedanken, dass ich nicht gut genug bin“ oder „Ich merke, dass ich den Gedanken habe, dass ich ein Looser bin.“
Konzentriere Dich nun erneut für etwa zehn Sekunden auf diesen Gedanken und achte darauf, was passiert.
Hast Du bemerkt, dass durch diese einfache Satzergänzung ein kleiner Puffer zwischen Dir und Deinem Gedanken entsteht? Es scheint, dass Du durch das Einfügen dieser kurzen Phrasen sofort eine gewisse Distanz zum eigentlichen Gedanken gewonnen hast, so als ob Du von ihm zurücktreten würdest und ihn so mit mehr Objektivität betrachten kannst.
Das bedeutet, Du bist nicht länger in dem Gedanken gefangen und schaust nicht länger auf die Welt aus der Perspektive des negativen Gedankens. Du hast Raum geschaffen zwischen Dir und dem Gedanken.
Schenke einem Gedanken nur dann Aufmerksamkeit, wenn er nützlich ist
Du kannst diese Technik bei allen unangenehmen Gedanken anwenden, die Dir während des Tages oder in der Nacht, wenn Du nicht schlafen kannst, durch den Kopf gehen. Wenn Dein Verstand zum Beispiel sagt, „Wenn ich jetzt nicht bald einschlafe, wird morgen ein schrecklicher Tag,“ dann bestätige dies mit „Ich habe den Gedanken, dass es morgen ein schrecklicher Tag wird, wenn ich jetzt nicht schlafen kann“.
Wenn Du also Deinen Gedanken nur um ein paar Worte ergänzt, wird die unangenehme Wirkung, die der Gedanke auf Dich hat, sofort reduziert. Das heisst, der Gedanken verliert seine Kontrolle über Dich; Du kannst ihn loslassen und als das sehen, was er ist: nichts weiter als Worte, die Dir durch den Kopf gehen.
Gedanken kommen und gehen. Ob sie wahr sind oder nicht – wenn sie nicht hilfreich sind, brauchst Du ihnen nicht viel Aufmerksamkeit zu schenken oder ihrem Rat zu folgen. Und am wichtigsten dabei ist zu erkennen, dass Gedanken keine wirklichen Bedrohungen darstellen. Selbst die schmerzlichsten oder beunruhigendsten Gedanken können Dich nicht wirklich bedrohen.
Warum dies ein viel klügerer Ansatz ist, als Deine Gedanken herauszufordern
Ist Dir aufgefallen, dass Du bei dieser Übung den Gedanken überhaupt nicht in Frage gestellt hast? Du hast nicht mit ihm gerungen und versucht, ihn loszuwerden, oder darüber nachgesinnt, ob er wahr oder falsch ist. Du hast auch nicht versucht, ihn durch einen positiven Gedanken zu ersetzen. Du hast etwas viel Weiseres getan: Du hast den Gedanken einfach existieren lassen und Dich dabei von ihm gelöst.
Das ist der Trick bei dieser Übung: Du akzeptierst Deine Gedanken, so wie sie sind, anstatt mit ihnen zu ringen. Dies signalisiert Deinem Gehirn, dass Du in Sicherheit bist und dass es keine ermüdende Verteidigungsstrategie auffahren muss. Als Folge beruhigt sich Dein Geist und Du kannst Dich mehr den Dingen widmen, die Dir wichtig sind.
Deshalb ist diese auf Akzeptanz beruhende Herangehensweise langfristig eine viel bessere Strategie als ständig mit Deinen Gedanken zu kämpfen, was nur dazu führt, dass Unruhe und Angst verstärkt werden.